Die letzten Tage und Wochen sind – mal wieder möchte man meinen – von einigen Highlights in der datenschutzrechtlichen Rechtsprechung geprägt wurden. Bereits in unserem Jahresrückblick haben wir das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 19. Dezember 2024 (Rs. C-65/23) zu Art. 88 DS-GVO und Betriebsvereinbarungen erwähnt. In den letzten Tagen sorgte zudem ein Urteil des Gericht der Europäischen Union (EuG) vom 8. Januar 2025 (Rs. T-354/22) für Aufsehen, in dem die Europäische Kommission aufgrund einer rechtswidrigen Datenübermittlung in die USA (konkret an Amazon Web Services – AWS) zu einem Schadenersatz in Höhe von 400€ verurteilt wird.
In unserem heutigen Beitrag wollen wir uns jedoch dem Urteil des EuGH vom 9. Januar 2025 (Rs. C-394/23) näher zuwenden, zumindest ausschnittsweise. Im Kern adressiert das Urteil die Frage nach der Zulässigkeit der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung hinsichtlich Anrede und Geschlechtsidentität. Wir wollen uns jedoch lediglich den Ausführungen des EuGH zum Thema des berechtigten Interesses widmen. Doch lest selbst.
Das berechtigte Interesse
… nach Abwägung müsste der Tatbestand in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DS-GVO richtigerweise genannt werden. In der Praxis hat sich jedoch weit überwiegend die Bezeichnung „berechtigtes Interesse“ durchgesetzt, wenn nicht sogar beiläufig die Bezeichnung „Auffangtatbestand“ genutzt wird. Mit den Voraussetzungen des Tatbestandes inklusiv Verweisen auf die Rechtsprechung des EuGH haben wir uns hier in der Vergangenheit bereits auseinandergesetzt. Hierbei betont der EuGH stets, dass grundsätzlich ein breites Spektrum von Interessen als berechtigt gelte, wobei derartige Interessen weder gesetzlich verankert noch bestimmt, jedoch in jedem Falle rechtmäßig sein müssen.
Gleichgültig auf welches berechtigte Interesse im Rahmen der Abwägung der Verantwortliche zurückgreift, allein mit der Festlegung ist es nicht getan. Vielmehr bedarf es auch der Information der Betroffenen über das jeweils gegenständliche Interesse. Es bedarf der Information? Genau, steht zwar nicht direkt im Tatbestand, macht aber nichts. Wie so häufig schadet es nicht, einen Blick ins Gesetz zu riskieren. In Art. 13 DS-GVO (Informationspflicht bei Erhebung von personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person) wird in Abs. 1 lit. d) Folgendes normiert:
„Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten Folgendes mit: […], wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f beruht, die berechtigten Interessen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden […].“
Spiegelbildlich wird in Art. 14 DS-GVO (Informationspflicht, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden) in Abs. 2 lit. b) folgendes geregelt:
„Zusätzlich zu den Informationen gemäß Absatz 1 stellt der Verantwortliche der betroffenen Person die folgenden Informationen zur Verfügung, die erforderlich sind, um der betroffenen Person gegenüber eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten: […] wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f beruht, die berechtigten Interessen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden […]“
So weit, so gut. Doch was bedeutet diese Informationspflicht für den Tatbestand und damit letztendlich auch für Anwendung des berechtigten Interesses in der Praxis?
Zurück zum Urteil
Die Frage nach der Auswirkung bei fehlender oder mangelhafter Informationspflicht in der Praxis beantwortet der EuGH nun in seinem Urteil (Rn. 46): „Was erstens die Voraussetzung der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass es nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. d DSGVO dem Verantwortlichen obliegt, einer betroffenen Person zu dem Zeitpunkt, zu dem personenbezogene Daten bei ihr erhoben werden, die verfolgten berechtigten Interessen mitzuteilen, wenn diese Verarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO beruht.“
Und weiter in Rn. 52: „Wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt diese Bestimmung, dass den betroffenen Personen zum Zeitpunkt der Erhebung der Daten unmittelbar das verfolgte berechtigte Interesse mitgeteilt wird, da andernfalls diese Erhebung nicht auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f dieser Verordnung gerechtfertigt werden kann.“
Im konkreten Verfahren lässt der EuGH eine weitere Beurteilung der Frage offen, da sich dies nicht aus den vorliegenden Akten ableiten lässt.
Fazit
Für die Praxis lassen sich diese Ausführungen des EuGH dahingehend zusammenfassen, dass die Erfüllung des Tatbestand des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DS-GVO den Verantwortlichen bei der Datenverarbeitung auf Grundlage des berechtigten Interesses nach Abwägung noch nicht in Sicherheit wiegen darf. Vielmehr müssen auch die Informationspflichten aus Art. 13 DS-GVO (und sofern anwendbar vermutlich auch Art. 14 DS-GVO) erfüllt sein, damit die gegenständliche Datenverarbeitung als rechtmäßig betrachtet werden kann. Verantwortliche sollten daher insbesondere bei der Erfüllung der Datenschutzinformationen darauf achten, dass nicht nur gebetsmühlenartig auf den Tatbestand verweisen wird, sondern das eine tatsächliche Auseinandersetzung erfolgt.
Über den Autor: Alexander Weidenhammer ist Rechtsanwalt und als externer Datenschutz- und Informationssicherheitsbeauftragter beim Dresdner Institut für Datenschutz tätig. Im Fokus seiner Beratungstätigkeiten liegen insbesondere Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien, mittelständische Unternehmen sowie Vereine. Für Anregungen und Reaktionen zu diesem Beitrag können Sie den Autor gern per E-Mail kontaktieren.