Soll Schmerzensgeld Wehtun?

Soll Schmerzensgeld wehtun?


Die wichtige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 04.05.2023 (Rs. C-300/21) zum „Schmerzensgeld“ (Ersatz immaterieller Schäden) bei Verletzung von Auskunftspflichten nach Art. 15 DS-GVO wurde hier schon besprochen. Bereits einige Wochen zuvor hat das Arbeitsgericht Duisburg (Urt. v. 23.03.2023, Az. 3 Ca 44/23) für verspätete und unvollständige Auskunft EUR 10.000 Schmerzensgeld festgesetzt. Vorab: Das Urteil ist in mehrfacher Hinsicht ein negativer „Ausreißer“. Ein Berufungsverfahren mit deutlicher Reduzierung des „Schmerzensgeldes“ wäre erfreulich. Auf telefonische Nachfrage erhielten wir keine Auskunft, ob Berufung eingelegt wurde – trotz Veröffentlichung des Urteils angeblich aus Datenschutzgründen.


Worum ging es?

Der Kläger des Verfahrens war vor etlichen Jahren für sehr kurze Zeit (einige Tage) „bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten am Standort Duisburg beschäftigt“. Er hatte bereits 2020 einmal Auskunft von der Beklagten verlangt und erhalten. Am 01.10.2022 forderte er von der Beklagten erneut Auskunft und Datenkopie (bis 16.10.2022), erinnerte nochmals mit Schreiben vom 21.10.2022 und setzte eine weitere Frist bis 31.10.2022. Am 27.10.2022 übermittelte die Beklagte die Auskunft und eine Kopie noch gespeicherter Daten. Es folgten dann Schreiben vom 04.11. (Kläger), 11.11. (Beklagte), 18.11. (Kläger), 01.12. (Beklagte) und 09. sowie 30.12. (Kläger). Man stritt sich über die Angaben zur Speicherdauer und Datenempfängern sowie über die Vollständigkeit der Datenkopien. Am 07.01.2023 traf die Klage beim Arbeitsgericht ein. Der Kläger forderte Schmerzensgeld von mindestens EUR 2.000.


Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hatte ungewöhnlicherweise den fünffachen (!) Betrag zugesprochen und den beklagten Arbeitgeber in der Urteilsbegründung geradezu „abgekanzelt“. Der Arbeitgeber hatte unter anderem die EuGH-Entscheidung im Rechtsstreit C-300/21 abwarten wollen. Die wurde vom Arbeitsgericht – nachvollziehbar – abgelehnt.

Zur Erinnerung: Der EuGH hat dann am 04.05.2023 drei Aussagen zum „Schmerzensgeld“ bei Art. 15 DS-GVO getroffen: (1) Ein Schadensersatzanspruch besteht nicht bei jedem Auskunftsfehler. Es muss auch tatsächlich ein Schaden entstanden sein. (2) Jeder Schaden ist zu ersetzen. Es gibt keine „Bagatellgrenze“. (3) Die Höhe des Schmerzensgeldes (Ersatzes für immaterielle Schäden) müssen und dürfen die Gerichte nach nationalen Regeln festlegen, solange sie damit wirksamen Schutz gewährleisten.

Das Arbeitsgericht Duisburg zählt mehrere Fehler und Pflichtverletzungen des verklagten Arbeitgebers auf: Dieser habe sich nicht einen Monat Zeit lassen dürfen, sondern in der vom Kläger gesetzten Zweiwochenfrist reagieren müssen, weil die Auskunft „unverzüglich“ geschuldet sei und die Monatsfrist nur eine Maximalgrenze darstelle. Die Auskunftsforderung sei auch nicht missbräuchlich oder exzessiv: Dass der Kläger nur wenige Tage beschäftigt war, das Arbeitsverhältnis Jahre zurücklag und 2020 bereits eine Auskunft erfolgte, ändere nichts an den Auskunftspflichten. Die Auskünfte zur Speicherdauer und zu den Datenempfängern hätte der Arbeitgeber sofort geben können und müssen; seine Nachfragen dazu seien unnötig gewesen.


Rechtliche Wertung

All dies ist zunächst nachvollziehbar. Bei dem angemessenen Auskunftszeitraum (zwei Wochen oder ein Monat im konkreten Fall) und beim „Rückfrage-Verbot“ sind die Positionen des Arbeitsgerichts allerdings „grenzwertig“ streng. Auch die DS-GVO sieht ja Rückfragen z.B. in Erwägungsgrund 63 Satz 7 ausdrücklich vor. Und Verantwortliche genügen ihren datenschutzrechtlichen Pflichten, wenn sie betriebliche Abläufe so organisieren, dass Auskunftsverlangen jedenfalls innerhalb der Monatsfrist nach Art. 12 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO erfüllt werden können.

Die Bemessung des Schmerzensgeldes ist dann nicht mehr nachvollziehbar: Das Arbeitsgericht begründet den Betrag von EUR 10.000 unter anderem damit, dass „der europäische Verordnungsgeber“ das Auskunftsrecht „als bedeutsam einordnet“ und es „sich eben nicht nur um ein einfaches Arbeitspapier“ handele (?), weiter damit, dass „der Verstoß einige Monate anhielt“ und der beklagte Arbeitgeber „beträchtlichen Umsatz“ erzielt (woraus das Arbeitsgericht – warum auch immer – dessen „Finanzkraft“ schlussfolgert). „Besonders schwer wog nach Auffassung der Kammer bei der Höhe der Geldentschädigung aber das vorsätzliche Verhalten“ des beklagten Arbeitgebers.

Was völlig fehlt – und in Gerichtsentscheidungen zum „Schmerzensgeld“ bei Art. 15 DS-GVO erwartet werden darf: Welchen immateriellen Schaden hat der Kläger durch die Verletzung der Auskunftspflichten (verspätet, unvollständig) erlitten? Wurde sein Ruf oder Image beschädigt? Bestanden dafür jedenfalls Risiken? War der Kläger in Sorge wegen irgendwelcher Datenverarbeitungen? Gab es sonst irgendwelche Nachteile oder Schäden?

Mit „frei schwebenden“ Schmerzensgeld-Beträgen wie vom Arbeitsgericht Duisburg ausgeurteilt, wird die DS-GVO nicht sinnvoll umgesetzt. Stattdessen entsteht (auch zum Nachteil der Arbeitsgerichte) die Gefahr, dass die Auskunft Art. 15 DS-GVO zur „Gelddruckmaschine“ verkommt. Für die Stimmigkeit von Schmerzensgeldbeträgen wäre es auch hilfreich, wenn man die Summen vergleicht (und in sinnvolle Relation bringt) mit denjenigen Summen, die Gerichte bei „echten Schmerzen“ zusprechen. Beispiele aus der „Schmerzensgeldtabelle“ des Oberlandesgerichts Celle:

  • EUR 7.669,38 bei „Bruch der rechten Kniescheibe mit blutigem Kniegelenkserguss, Gehirnerschütterung, Stirnplatzwunde, Thoraxprellung, 7-tägiger stationärer Krankenhausbehandlung und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 %“ (OLG Celle, Urt. v. 09.11.2000, Az. 14 U 25/00),
  • EUR 10.000 bei „schwerer Beckenverletzung mit Trümmerfraktur, Kopfplatzwunden, Prellungen an Thorax und Kiefer, Lungen- und Nierenquetschungen, Sensibilitätsstörung des linken Beins, fast 3-monatige Krankenhaus- und Reha-Behandlung“ (OLG Celle, Urt. v. 23.05.2002, Az. 14 U 219/01),
  • EUR 4.601,63 bei „Teilverrenkung des Kleinfingers, Prellungen an beiden Knien und im Rückenbereich, Riss des Innenbandes und Innenmeniskus, Einriss im rechten Kniegelenk, dadurch zwei chirurgische Behandlungen und Minderung der Erwerbsfähigkeit für viereinhalb Monate, als Dauerfolge Bewegungseinschränkung in der Streckung des rechten Kleinfingers und Ausbildung einer Arthrose im Gelenk des rechten Kleinfingers“ (OLG Celle, Az. 14 U 230/00).

Ja, Datenschutz ist wichtig. Nein, das Warten auf vollständige Auskunft über zwei oder drei Monate – ohne persönliche Nachteile – verursacht nicht Schmerzen von EUR 10.000. Urteile dieser Art sind nicht „stimmig“. Eine übersichtliche Darstellung anderer Entscheidungen bietet z.B. dsgvo-schmerzensgeld.de. Sie haben weitere Fragen zum Thema „Auskunftsrecht“? Schauen Sie sich gern unsere Blog-Beiträge „Auskunftsrecht – Fragen und Antworten“ an!

Über den Autor: Prof. Dr. Ralph Wagner ist Vorstand des DID Dresdner Institut für Datenschutz, Vorsitzender des ERFA-Kreis Sachsen der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. (GDD) sowie Mitglied des Ausschusses für Datenschutzrecht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Als Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden hält er regelmäßig Vorlesungen und Seminare zum Thema Datenschutzrecht. Für Anregungen und Reaktionen zu diesem Beitrag können Sie den Autor gern per E-Mail kontaktieren.