In seinem Urteil vom 1.7.2021 (Az.: 15 O 372/20 – Urteil ist bisher noch nicht frei zugänglich) hat sich das Landgericht (LG) Bonn mit dem für Berufsgeheimnisträger praxisrelevanten Auskunftsanspruch samt Herausgabe einer Kopie der Handakte gemäß Art. 15 DS-GVO befasst. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit dem konkreten Sachverhalt des Urteils sowie der Entscheidung des Gerichts und die damit verbundene Auswirkung für die Praxis.
WORUM GEHT ES IN DEM URTEIL?
Ursprünglich wurde die Rechtsanwaltskanzlei für die Mandantin in einer Verkehrsunfallsstreitigkeit sowie einer Schadenssache tätig. Nachdem das Mandat gekündigt wurde, forderte die Mandantin die Kanzlei zur Erteilung einer vollständigen Datenauskunft einschließlich einer Kopie der Handakte auf. Durch den neuen Prozessbevollmächtigten wurden schließlich gerichtlich u.a. Ansprüche auf Auskunft und Kopie sowie Schmerzensgeld geltend gemacht. Ihr diesbezüglicher Anspruch sei bisher nicht vollständig erfüllt worden, weil Angaben zum „Mandatskonto“ und zur bisher erfolgten Kommunikation mittels E-Mail und WhatsApp fehlten. Zudem fehlten Angaben zum Bürorechner und zu der Frage, ob Daten an den mit dem Anwalt in Bürogemeinschaft gemeinsam tätigen Kollegen weitergegeben worden seien, weil dieser die gleiche Telefaxnummer nutze.
WAS WURDE KONKRET ENTSCHIEDEN?
Das Gericht führt aus, dass nach Art. 15 DS-GVO jede betroffene Person, nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO also jede durch personenbezogene Daten identifizierbare oder identifizierte Person, das Recht hat, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie u.a. ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten. Der Begriff der „personenbezogenen Daten“ ist weit gefasst und umfasst nach der Legaldefinition in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierbare natürliche Person beziehen. Das Landgericht Bonn folgt insoweit der Rechtsprechung des OLG Köln (Urt. v. 26.7.2019 – Az.: 20 U 75/18), die den Umfang der Datenauskunft grundsätzlich weit fast. Hierunter fallen demnach u.a. auch die Angaben aus dem Mandatskonto und die betreffende elektronische Kommunikation.
Das Urteil des LG Bonn steht insoweit im Einklang mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) (Urt. v. 15.6.2021 – Az.: VI ZR 576/19). Auch der BGH geht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) von einem sehr weiten Verständnis des Begriffes der personenbezogenen Daten aus und lässt insoweit auf der Tatbestandsebene des Art. 15 DS-GVO keine teleologische Reduktion des Anwendungsbereiches zu. Konkret sieht der BGH vom Auskunftsanspruch u.a. Korrespondenz zwischen den Parteien, interne (Akten-)Vermerke und Kommunikation umfasst. Außerdem sei der Auskunftsanspruch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Daten dem Vertragspartner bereits bekannt sein.
IST DIE VERSPÄTETE AUSKUNFT DANN SCHADENERSATZPFLICHTIG?
Dieser Frage erteilt das Landgericht Bonn eine Absage. Es konstatiert, dass der Klägerin aufgrund der nach acht Monaten ersteilten Datenauskunft kein Anspruch auf Schadenersatz in Form eines Schmerzensgeldes aus Art. 82 DS-GVO zusteht. Zu Begründung führt das Gericht an:
„Gemäß Art. 82 Absatz 2 DSGVO haften die Verantwortlichen – insoweit konkretisierend – für den Schaden, der durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung entstanden ist. Daher kommt nur ein Verstoß durch die Verarbeitung selbst in Betracht, die verordnungswidrig sein muss, um einen Schadensersatzanspruch auszulösen. Aufgrund von anderen Verstößen, die nicht durch eine der DSGVO zuwiderlaufende Verarbeitung verursacht worden sind, kommt eine Haftung nach Artikel 82 Absatz 1 DSGVO nicht in Betracht […]“
Daher führt nach Ansicht des Gerichtes eine bloße Verletzung der Informationsrechte der betroffenen Person aus Art. 12-15 daher nicht dazu, dass eine Datenverarbeitung, infolge derer das Informationsrecht entstanden ist, selbst verordnungswidrig ist. Dementsprechend löst die nach Art. 12 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO verspätete Erfüllung von (Auskunfts-)Ansprüchen grundsätzlich keinen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DS-GVO aus. Das Landgericht Bonn bezieht hier klar Stellung zu einer umstrittenen Fragestellung im Rahmen des Art. 82 DS-GVO.
Unabhängig davon scheitert der Anspruch auch daran, dass ein Schaden nicht dargelegt wurde. Allein dass die Betroffene auf die Datenauskunft „warten“ musste, kann nach Ansicht des Gerichtes auch nach dem Schadensmaßstab der DS-GVO keinen ersatzfähigen Schaden begründen. Es muss auch bei einem immateriellen Schaden eine Beeinträchtigung eingetreten sein, die unabhängig von einer Erheblichkeitsschwelle wenigstens spürbar sein muss. Andernfalls scheidet ein „Schaden“ begrifflich schon aus. Eine solche Spürbarkeit wurde im gegenständlichen Verfahren jedoch nicht dargelegt.
WELCHE AUSWIRKUNGEN FÜR DIE PRAXIS SIND ZU ERWARTEN?
Vorab ist anzumerken, dass keine Klärung der Frage nach dem Verhältnis der datenschutzrechtlichen Vorschriften der Art. 15 ff. DS-GVO zu den berufsrechtlichen Vorschriften, insbesondere dem § 50 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) erfolgte. So kennt § 50 Abs. 2 BRAO einen eigenständigen Herausgabeanspruch des Auftraggebers gegenüber dem Rechtsanwalt, wobei letzterer gemäß § 50 Abs. 3 BRAO die Herausgabe so lange verweigern darf, bis er wegen der ihm vom Auftraggeber geschuldeten Gebühren und Auslagen befriedigt ist. Klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Verhältnis zwischen § 50 Abs. 2 und 3 BRAO zu Art. 15 Abs. 3 DS-GVO und Art. 20 DS-GVO.
So ist die Annahme eines weiten Umfangs des Auskunftsanspruchs in jedem Fall zu begrüßen, da ein Ablehnen bestimmter Datenarten bereits auf Tatbestandebene des Art. 15 DS-GVO wohl nicht mit der Schutzwirkung der DS-GVO in Einklang zu bringen ist. Dies ist jedoch nicht gelichbedeutend mit der Annahme, dass keine Ausnahmen möglich wären. In Betracht kommen können hier insbesondere Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DS-GVO (offenkundig unbegründeten oder exzessiven Anträgen), Art. 15 Abs. 4 DS-GVO (Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten anderer Personen) sowie Art. 23 Abs. 1 DS-GVO i.V.m. § 29 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) (Geheimhaltungspflichten) oder i.V.m. § 34 BDSG (u.a. Aufbewahrungspflichten und Datensicherung).
Hinsichtlich der Ausführungen zum Schadenersatzanspruch wird mit Spannung zu erwarten sein, wie der EuGH diesbezüglich entscheiden wird, da der Oberste Gerichtshof in Österreich (OGH, Entsch. v. 15.4.2021 – Az.: 6 Ob 35/21) entsprechend vorgelegt hat. Geklärt werden soll u.a., ob der Zuspruch von Schadenersatz nach Art. 82 DS-GVO neben einer Verletzung von Bestimmungen der DS-GVO auch erfordert, dass der Kläger bzw. Betroffene einen Schaden erlitten hat oder ob bereits die Verletzung von Bestimmungen der DS-GVO als solche für die Zuerkennung von Schadenersatz ausreicht.
FAZIT
Es bleibt festzuhalten, dass Auskunfts- sowie Kopieanspruch des Art. 15 DS-GVO einerseits und der Schadenersatzanspruch des Art. 82 DS-GVO andererseits regelmäßig Gegenstand von Gerichtsentscheidungen sind und auch bleiben werden. Trotz zahlreicher Entscheidungen verbleiben viele offene Fragestellungen. Gleichwohl führen die höchstrichterlichen Entscheidungen Stück für Stück zu Rechtssicherheit. Für Verantwortliche empfiehlt es sich entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um Auskunftsersuchen unverzüglich und vollständig beantworten zu können.
Über den Autor: Alexander Weidenhammer ist Rechtsanwalt und als externer Datenschutz- und Informationssicherheitsbeauftragter beim Dresdner Institut für Datenschutz tätig. Im Fokus seiner Beratungstätigkeiten liegen insbesondere Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien, mittelständische Unternehmen sowie Vereine. Für Anregungen und Reaktionen zu diesem Beitrag können Sie den Autor gern per E-Mail kontaktieren.